Jakobsweg

Wehmut – Jakobsweg

Tag 9: Heute war ein wunderschöner Tag. Es hat nicht geregnet, und mit fortschreitender Uhrzeit wurde es sehr angenehm. Irgendwann konnte ich seit Tagen das erste Mal die Handschuhe ausziehen. Dem folgte

circa 1 Stunde später die Regenjacke. Und trotzdem war mir warm.
Doch schlagartig wurde mir folgendes bewusst: Auch wenn ich noch nicht am Ende angekommen bin, dieses aber durchaus schon in Sicht ist, war ich zur falschen Zeit auf dem Jakobsweg. Der Tag heute war so schön, wie auch die ersten beiden Tage. Ich habe niemals erwartet stetig 14 Tage lang 25°, Sonne und blauen Himmel zu haben. Auch heute, an diesem wunderschönen Tag lag die max. Temperatur bei 12 Grad. Aber wenn ich zurück schaue, so waren die letzten sechs Tage eine einzige Flucht vor dem Wetter. Heute zum Beispiel, habe ich wieder an jeder Weide angehalten. Ich habe den Schafen „Hallo“ gesagt. Ich habe den Stieren eine Viertelstunde beim weiden zugesehen. Ich habe Kühe gefüttert. Lämmchen beim spielen zugeschaut. Ich habe wunderschöne Blumen gesehen. Auch die Schmetterlinge waren wieder da. Am Ende der Berglandschaft habe ich Wasserfälle gesehen, welche den Berg hinunter kommen. In den letzten Tagen habe ich das immer nur als Regen angesehen. Auch heute bin ich viele Hügel hochgestrampelt, aber es war anders – es hat richtig Spaß gemacht. Oben angekommen habe ich mir ein Plätzchen gesucht, wo ich mich ausruhen kann. Sorry, aber das machst du nicht bei 6°, Wind und Regen. Die Strecke zwischen Burgos und León, welche eh nicht so attraktiv fürs Auge ist, war eine absolute Katastrophe. Wenn es jetzt mal regnet, ok, dann regnet es. Aber dort – das waren richtige Unwetter. Wenn du dein Fahrrad kaum mehr auf der Straße halten kannst, das macht einfach keinen Spaß mehr. Wenn du morgens in der früh bei 2° los fahren musst, hilft dir auch dein Equipment nicht mehr weiter. Es gibt diesen Spruch mit falscher Kleidung und so, aber auch ich habe Gore Tex am Leib. Trotzdem, irgendwann ist es durch. Mit Sicherheit kann ich stolz sein auf die Leistung, die ich erbracht habe, oder noch erbringen werde. Aber im Prinzip sehe ich es gerade so, dass ich sechs Tage, sechs wunderschöne Tage verloren habe. Ich hätte diese Tour auch locker in den Sommer Ferien machen können. Da wären die Kinder zu Hause gewesen, das heißt ich hätte die Hunde nicht extra in eine Hundepension bringen müssen etc. etc. Aber im Internet wurde immer wieder gewarnt, dass es dann zu heiß ist. „Bullshit“, sage ich. Jeder der dieses liest und den Jakobsweg für sich plant, dem muss ich empfehlen, nicht im Mai zu fahren. Das Wetter ist so unbeständig, und wir, die zur Zeit unterwegs sind, haben zudem noch Pech gehabt.
Aber einen Trost habe ich in Sicht. Mein Mann hat mir versprochen, dass wir die Tour noch mal mit dem Auto abfahren. Ich habe mindestens 100 Punkte im Kopf, die ich mir dann noch mal in Ruhe anschauen möchte. Auch wenn ich dann kein Pilger zu dem Zeitpunkt bin.
Auch an den ersten beiden Tagen habe ich die Städte gemieden. Lieber habe ich mich irgendwo, in the middle of nowhere, an den Straßenrand gesetzt oder auf einen Feldweg und die Ruhe genossen. Genau das konnte ich heute wieder tun. Und das ist einfach paradiesisch. Heute werde ich nicht mehr weit fahren. Mit der Wahlheimat Madrid im Rücken muss ich ja heute Abend das Fußballspiel schauen. Deswegen werde ich auch heute nicht in einer Herberge unterkommen, sondern in einer Pension in Portomarín. Denn die Herbergen schließen um 22:00 Uhr inklusive Bettruhe und dann könnte ich dem Fußballspiel nicht mehr folgen.
Morgen werde ich noch ein Stück weiter fahren. Möchte aber morgen nicht in Santiago ankommen, da ich mir den Sonntagstrubel nicht antun möchte. Geplant ist also am Montag meine Compostela in Empfang zu nehmen. Also definitiv Endspurt …. noch 100km bis Santiago.

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6 Kommentare zu „Wehmut – Jakobsweg

  1. Ja, das ist echt schade mit dem Wetter. DAs habe ich jetzt auch schon so oft gedacht…… Und niemals vermutet im Mai in Spanien. Aber das, was du sonst noch schreibst, klingt so friedvoll, so einmalig, so wundervoll, soviel Eindrücke nur für dich alleine, die dir keiner mehr nehmen kann. Ich freue mich aber echt, das du heute einen wundervollen Tag hattest und soviel schöne und „warme“ Moment mitnehmen konntest auf Deiner Tour.

    1. Die Eindrücke sind so umfangreich – das,was ich im Blog niederschreibe und was ich mit der Kamera festhalten konnte, ist trotzdem nur ein Bruchteil dessen, was man den ganzen Tag durchlebt. So viele schöne Dinge, die man sieht – ich denke genau das ist, wovon man dann so lange zehren kann.

    1. Die 6 Tage waren hart, aber natürlich gab es auch dort sehr viele schöne Momente, die man nicht missen möchte. Einer meiner schönsten Erlebnisse war ein betagtes Wanderpilgerpaar – dem ich mich langsam von hinten näherte. Die Ponchos flatterten nur so im Sturm – konnten dadurch ihren Zweck nicht mehr ganz erfüllen – aber die beiden hielten sich an der Hand und meisterten so Schritt für Schritt ihren Weg gemeinsam. Diese „Szene“ werde ich wohl nie vergessen.

    1. Es war ein wohliger Luxusabend für mich. Ich muss allerdings zu meiner Schande gestehen, dass ich beim 1:0 für Athletico am Ende der zweiten Halbzeit wirklich eingeschlafen bin – das unglaubliche Ergebnis von 1:4 habe ich erst am Morgen erfahren. 😉

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