Ich kann mich noch ganz genau erinnern, als ich sie zum ersten Mal sah. Ich war mit meinem Motorroller unterwegs; letztes Jahr habe ich 5000km mit meinem Moto zurückgelegt – ich wollte die Stadt erkunden – Madrid besser kennen lernen. Der Vorteil ist, dass man mit dem Motorroller auch in die kleinen Gäßchen fahren kann, dass man einen Stau einfach links liegen lassen darf und dass man über das gut ausgebaute Autobahnnetz auch das Umland erforschen kann. So auch an jenem Tag. Es war heiß und ich hatte mich auf den Weg in den Süden Madrids gemacht. Was kommt am Ende der Stadt? Erstmal nur Industrieansiedlungen – Coslada – hier finde ich es wirklich langweilig. Dann merke ich, ich bin etwas vom Weg abgekommen und halte mich wieder mehr gen Süden.
Es ist warm, ich habe Durst und entscheide mich bei der nächsten Gelegenheit eine Pause einzulegen. Im nächsten Ort möchte ich mir eine kleine Bar suchen. Mejorada del Campo. Es geht steil den Berg hinauf Richtung Centro urbano. Ich biege ein paar Mal in dem verwinkelten Örtchen ab und dann sah ich sie – direkt vor mir – und ich wusste nicht, was ich sah. Dieses Gebäude, welches aussieht, als wäre es einer anderen Zeit entsprungen; einer Zeit in der Zukunft, nicht in der Vergangenheit. Hinter mir hupt ein Auto. Ich habe schon lange grün, aber ich bin fasziniert vom Anblick dieses Bauwerks. Ich fahre zur Seite, bleibe 5m weiter stehen. Umso länger ich diesen Komplex anschaue, umso klarer wird mir, dass es sich hier mit Sicherheit um ein Studienprojekt handeln muss – Kunst, Architektur – bestimmt von der Unversität Alcalá de Henares? Das muss ich mir näher anschauen.
Ich fahre den Berg hinauf, denn dort sehe ich einige Menschen ein und aus gehen. Man kann hineingehen? – ich freue mich. Meine gewünschte Erfrischung ist längst vergessen. Ich parke, steige ab und mache mir nun von der Seite ein Bild – was ist das? – es sieht noch mehr nach einem utopischen Bauwerk aus. Ich gehe hinein und ab dem Moment hätte ich gerne gehabt, dass mich jemand gefilmt hätte. Ich war sprachlos – denn nun weiss ich mittlerweile, dass dieses Bauwerk von einem Menschen erbaut wurde, noch nicht vollendet ist und das seit 53 Jahren! Erst viel später, nachdem ich treppauf und treppab gelaufen bin, habe ich gemerkt, dass die Leute mich so komisch angucken. Ich hatte vergessen meinen Motorradhelm abzunehmen. Ich lief also die ganze Zeit in dieser selbsternannten Kathedrale mit Kopfschutz herum – was aber nicht weiter schlimm ist, denn es handelt sich hier zusammengefasst um eine große, ungesicherte, aber zugängliche Baustelle.
Was ich euch nahe legen möchte, jedem Einzelnen, ob Erwachsener oder Kind, ob Frau oder Mann: Wenn ihr die Möglichkeit habt, besucht Justo Gallego Martínez in seiner Kathedrale. Es ist das verrückteste und einzigartigste, was ich bisher in meinem Leben gesehen habe. Don Justo ist nun 88 Jahre alt und arbeitet nach wie vor jeden Tag an seinem Lebenswerk. Niemand weiss, wie alt Don Justo werden wird – aber eines weiss er ganz genau – er wird sein Lebenswerk nicht vollenden können.
Hier noch einige Fakten – aber diese können nicht verbildlichen, was euch erwarten wird:
Als Sohn einer Bauernfamilie trat Gallego Martínez mit 27 Jahren in das Trappistenkloster von Santa María de Huerta bei Soria ein, das er allerdings 1961 vor Ablegung der Profess wegen einer Tuberkuloseerkrankung wieder verlassen musste. Nach seiner überraschenden Heilung begann er 1961 aus Dankbarkeit eine Kathedrale auf einem ererbten Grundstück zu errichten. Gallego Martínez lebt mit seiner Schwester in der Nähe seiner Kathedrale. Gallego Martínez arbeitet bis heute (88 Jahre alt) ohne Unterstützung der katholischen Kirche, ohne Baupläne und ohne Baugenehmigungen, hauptsächlich allein, gelegentlich mit der Hilfe seiner sechs Neffen oder Freiwilliger. Manchmal stellt er auf seine eigenen Kosten Fachleute ein. Er finanziert seine Arbeit durch die Verpachtung und den Verkauf von Ackerland, das er übernommen hat, oder durch private Spenden. Im Jahre 2005 machte ihn und seine Kathedrale eine Werbekampagne für das Getränk Aquarius in ganz Spanien bekannt.
Lange galt er in Mejorada als der „verrückte Mönch“, heute aber ist die Ortschaft, die 20 Kilometer von Madrid entfernt liegt, wegen der Kirche zum viel besuchten Ort geworden.
Das Bauwerk ist 55 Meter lang, 25 Meter breit und 35 Meter hoch, und erstreckt sich auf einer Grundfläche von 8.000 Quadratmetern. Es entspricht den Proportionen einer klassischen Basilika spanischen Typus’ mit unvollendeter zweitürmiger Westfassade, Langschiff, säulengetragenem Hauptgewölbe mit Emporen, und Vierungskuppel, ebenfalls noch unvollendet. Das Bauwerk ist über einer Unterkirche erbaut. Die blaue Kuppel ist ca. 36 Meter hoch, die beiden Westtürme sollen 58 Meter hoch werden.
Die meisten Baustoffe und Werkzeuge, die Don Justo verwendet, sind wiederaufbereitet. Er gebraucht sowohl Alltagsgegenstände als auch Materialien, die von Baufirmen und einer nahegelegenen Ziegelsteinfabrik gespendet wurden. Der Mörtel für die Fugen wird beispielsweise in alten Treibstofffässern angerührt und die Schalung für die hohen Säulen aus Beton sind Kartontrommeln. (Quelle: Wikipedia)